Mathias Mühlberger, Direktor der Caritas in Oberösterreich:
Dass Wohnungslosigkeit von Frauen anders ist als bei Männern, ist ein viel zu wenig wahrgenommenes Problem in unserer Gesellschaft. Der Grund dafür liegt auch darin, dass es kaum sichtbar ist: Die typische Erscheinungsweise von Wohnungslosigkeit bei Frauen ist die verdeckte Wohnungslosigkeit. Gerade Frauen versuchen aus Scham, solange wie möglich ihre Notlage zu verbergen und ohne institutionelle Hilfe auszukommen. Die Angst, tatsächlich auf der Straße zu landen, ist groß. Einerseits aufgrund der Kinder, die sie ja in einem solchen Fall verlieren würden. Dazu kommt, dass die Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe von Männern dominiert und Frauen auf der Straße verstärkt Gewalt ausgeliefert sind. Daher beträgt der Frauenanteil in Tageszentren für wohnungslose Frauen und Männer generell nur rund 16%.
Verdeckte Wohnungslosigkeit
Viele Frauen versuchen daher, noch irgendwo bei Bekannten oder Freunden unterzukommen oder gehen „Zweckpartnerschaften“ ein. Oftmals schlittern sie dadurch in neue Abhängigkeiten. Vielfach münden solche „Zweckpartnerschaften“ in sexuelle oder psychische Gewalt, Alkohol- und Drogenmissbrauch. Dann ist schließlich die „akute“ Wohnungslosigkeit die Folge - die Frauen werden tatsächlich obdachlos.
Problem Wohnungslosigkeit von Frauen wird in der Caritas-Arbeit sichtbar
In unserer Arbeit als Caritas wird das Problem dennoch sichtbar, und die Tendenz ist steigend. So wandten sich im vergangenen Jahr 242 Frauen an eine unserer Beratungsstellen für Menschen in Not in Oberösterreich, weil sie von Wohnungslosigkeit bedroht oder bereits unmittelbar davon betroffen waren. 2007 waren es bis September bereits 280 Frauen. Auch in unser Tageszentrum für Wohnungslose, der „Wärmestube“ in Linz, kommen Frauen, allerdings machen wir hier auch die Erfahrung, dass manche Frauen dieses Angebot nicht und nur begrenzt wahrnehmen, weil sie die Dominanz der Männer scheuen.
Zu wenig frauenspezifische Angebote in der Wohnungslosenhilfe
Grundsätzlich verfügt die Wohnungslosenhilfe in Oberösterreich über ein gut ausgebautes Netz, jedoch sind beinahe alle Einrichtungen gemischtgeschlechtlich. Die Männer bestimmen das Geschehen, was Frauen oftmals an der Inanspruchnahme der Angebote hindert. Spezifisch für wohnungslose Frauen gibt es in Oberösterreich nur Beratungsangebote, aber kein Tageszentrum, das Frauen einen geschützten Raum bietet und wo intensivere Betreuung und eine Aufarbeitung von Problemen stattfinden kann. Frauenhäuser und Häuser für Mutter und Kind stehen nur für ganz bestimmte Zielgruppen von Frauen zur Verfügung und die Wohnplätze in diesen Einrichtungen sind sehr begrenzt.
FRIDA schafft Raum für Frauen
Als Caritas sehen wir unsere Aufgabe darin, Bedürfnisse und Nöte ganz bewusst wahrzunehmen und nach Möglichkeit darauf Antworten zu geben. Der Start des Projektes FRIDA vor einem Jahr war eine solche Antwort: „FRIDA“, das ist „Frauen – Raum – Initiative – Dasein – Austausch“, die erste Tageseinrichtung für wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Frauen in Linz. Von Mittwoch bis Samstag stehen die Räume der Caritas-Wärmestube zwischen 9.30 Uhr bis 12.30 Uhr ausschließlich Frauen offen. „FRIDA“ ist in erster Linie ein Regenerations- und Rückzugsort. Angeboten werden neben einem Frühstück und der Möglichkeit zum Austausch auch Information, Beratung und Weitervermittlung sowie Begleitung in Krisensituationen. Zielsetzung von FRIDA ist der Grundsatz, der für alle Projekte der Caritas gilt: Wir geben Hilfe zur Selbsthilfe. Wir bemühen uns darum, die Frauen dazu zu befähigen, die nächsten Schritte selbst tun zu können.
Erfolgreiches Pionierprojekt
Wir haben aus unseren Erfahrungen in der Arbeit mit Wohnungslosen diesen Bedarf für Frauen gesehen und gehandelt. Wie das Projekt langfristig finanziert werden kann, war zum Zeitpunktes des Startes ungewiss, doch Dank einiger Spenden für die Caritas-Hilfe für Wohnungslose konnten wir den Bestand für die erste Zeit sichern – fürs erste nur in kleinem Rahmen, mit einer angestellten Sozialarbeiterin sowie ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. FRIDA kann man also mit Recht als „Pionierprojekt“ in Oberösterreich betrachten. Und die Erfahrung nach einem Jahr FRIDA gibt uns recht: In einer Evaluierung des Projektes wurde festgehalten, dass das Angebot den Bedürfnissen und spezifischen Problemlagen von wohnungslosen Frauen vollauf entspricht und daher auch sehr gerne in Anspruch genommen wird. FRIDA wird als Schutz-, Rückzugs- und Erholungsraum genützt.
Elisabethsammlung für Menschen in Not in Oberösterreich
Um Projekte wie FRIDA für Menschen in Not in Oberösterreich realisieren zu können, brauchen wir die Unterstützung von Menschen, die ebenfalls nicht wegschauen, wenn jemand Hilfe braucht. In unserer Gesellschaft fehlt es oft an „Spürsinn“ für die Probleme und Nöte der anderen.
Mit unserer „Elisabethsammlung“ im November rufen wir dazu auf, Menschen in Not in unserem Land nicht im Stich zu lassen. „Armut kann man abschaffen“ ist das Motto der diesjährigen Sammlung. Mit den Spenden aus der Elisabethsammlung helfen wir in verschiedenen Projekten und Einrichtungen Menschen in Oberösterreich, der Armutsspirale zu entkommen. Zum Beispiel im Haus für Mutter und Kind, wo AlleinerzieherInnen zu einer tragfähigen Zukunft für sich und ihr Kind finden können. Oder in den Caritas-Beratungsstellen, wo Menschen Hilfestellung erhalten, um wieder neue Lebensperspektiven zu gewinnen.
Um gemeinsam ein „leuchtendes“ Zeichen zu setzten gegen die Armut und für den sozialen Zusammenhalt in unserem Land, veranstalten wir heuer auch erstmals die Aktion „Eine Million Sterne“: Am Freitag, dem 16. November, werden ab 16 Uhr unter dem Motto „Eine Million Sterne“ in vielen Städten in Österreich öffentliche Gebäude, Brücken und Plätze durch Tausende von Kerzen beleuchtet. In Oberösterreich laden wir an diesem Tag gemeinsam mit der Stadtpfarre Linz und der Kirchenzeitung zum Lichter-Anzünden auf den Pfarrplatz bei der Stadtpfarrkirche in Linz ein.
Bitte, helfen Sie uns helfen!
Spendenkonto:
RLB 1.245.000, BLZ 34 000
Oder:
PSK 7.700.004, BLZ 60 000
Kennwort: Elisabethsammlung
Mag.a (FH) Bettina Börner, Sozialarbeiterin Projekt „FRIDA“ der Caritas in OÖ.:
Laut Expertenmeinung werden neue Einrichtungen erst nach sechs Monaten angenommen, wir können jedoch darauf verweisen, dass ab dem ersten Öffnungstag FRIDA eine hohe Akzeptanz erreicht hat. Bisher hatten wir Kontakte zu 43 unterschiedlichen Frauen, dies bedeutet, dass in den 41 Öffnungswochen im ersten Jahr FRIDA jede Woche von einer weiteren, von Wohnungslosigkeit betroffenen Frau besucht wurde. Pro Tag wird FRIDA von bis zu 10 Frauen besucht.
Welche Frauen besuchen FRIDA?
- Frauen mit mehrfachen Problemlagen, die in bestehenden Angeboten keinen Zugang finden.
- Frauen, die aufgrund ihrer finanziellen Situation akut von Wohnungslosigkeit bedroht sind, in Substandardwohnungen leben.
- Frauen, die in Form verdeckter Wohnungslosigkeit vorläufig bei Bekannten untergekommen sind.
- Frauen, die auf der Straße leben.
Warum kommt FRIDA so gut an?
Zugang ist leichter als bei anderen Angeboten:
- weil FRIDA Frauen eine Grundversorgung wie Essen, Duschen, Wäschewaschen bietet.
- weil sich das Angebot von FRIDA an Frauen richtet, die eine umfassende sozialarbeiterische Beratung haben möchten, aber auch für Frauen offen ist, die zur gegebenen Zeit keine Beratung möchten bzw. annehmen können.
- Viele der Frauen haben weder das Geld noch die sozialen Kontakte - also zB. Freundinnen – um ein Caféhaus zu besuchen, in FRIDA finden sie beides: so etwas wie „Caféhausstimmung“, aber auch einen Ort, an dem sie soziale Kontakte zu anderen Frauen knüpfen können.
Geschützter Raum:
Die Zielgruppe, die Frida besucht, hat häufig Erfahrungen mit männlicher Dominanz und Gewalt. Es ist bekannt, dass viele Frauen aufgrund ihrer Erfahrungen oftmals gemischtgeschlechtliche Einrichtungen nicht aufsuchen und somit das Angebot nicht wahrnehmen, weil sie sich vor der Überzahl der Männer in diesen Einrichtungen fürchten. FRIDA bietet gerade jenen Frauen einen Ort des Rückzuges und des Schutzes. Frauen, die in FRIDA kommen, berichten, dass sie sich in gemischtgeschlechtlichen Einrichtungen oftmals nicht wohl fühlen aufgrund der Überzahl der Männer, wegen verbaler und diskriminierender Äußerungen. Es bedarf oft nur einer bestimmten Gestik eines Mannes, um eine Frau davon abzuschrecken eine Einrichtung anzunehmen. Auch im Vergleich zur Wärmestube zeigen
sich Frauen in FRIDA anders, sind offener, kommunikativer und engagierter. Im Normalbetrieb der Wärmestube sind diese Frauen meist sehr ruhig und angepasst und versuchen in der Regel nicht aufzufallen.
Wie zum Beispiel Frau K.:
Sie ist um die 50 Jahre alt und lebt seit einigen Jahren auf der Straße, ab und zu übernachtet sie in Notunterkünften. Sie ist schwer erkrankt, kann aus diesem Grund keiner Arbeit mehr nachgehen und lebt von einer Mindestpension. Aufgrund dieser Erkrankung und ihrer Lebensumstände ist sie auch psychisch sehr belastet. In der Obdachlosigkeit war sie bereits Gewalt und Missbrauch ausgesetzt. Die Wärmestube hat sie früher nur besucht, um sich Essen zu holen. Zu FRIDA kommt sie nun regelmäßig und sie hat angefangen, über ihre Probleme zu sprechen. Wir bemühen uns darum, ihr wieder Stabilität im Leben zu geben.
Frauengerechte Atmosphäre:
Die Besucherinnen finden nicht nur die ruhige Stimmung angenehm, sondern finden hier auch Raum um über „typische“ Frauenthemen sprechen zu können. Solche Themen sind u.a. Beziehungen, Kinder, aber auch Themenbereiche wie Arbeit, Wohnung, Geld und Sozialleistungen.
Auch werden Themen angesprochen, die in den Öffnungszeiten der Wärmestube nur sehr wenig Platz finden. So erzählen die Frauen von ihren Erlebnissen in den Parks und berichten über ihre Erfahrungen. Viele der Besucherinnen von Frida haben eine zeitlang auf der Straße, in Abbruchhäusern oder in der Waggonie geschlafen und waren wie Frau K. männlichen Übergriffen ausgesetzt, viele haben Missbrauchs- und Vergewaltigungserfahrungen. Oft sind diese Gespräche sehr emotionsgeladen. Es kommt oft vor, dass Besucherinnen sagen, dass sie sich nur hier verstanden fühlen und das Gefühl haben überhaupt mit diesen Themen kommen zu können, weil zum einen das Personal aus weiblichen Mitarbeiterinnen besteht und keine Männer in unmittelbarer Umgebung sind, die diese Themen abwerten könnten.
Hilfe zur Selbsthilfe
Wir helfen dabei, dass die Frauen wieder mehr zu sich selbst und zu ihren Stärken finden. Der Austausch untereinander schafft Solidarität und gegenseitige Hilfe. Zum Beispiel haben sich zwei BesucherInnen beim Schreiben von Bewerbungen unterstützt und konnten in der Folge auch bei einer Firma probearbeiten. Das mag als kleine Schritte erscheinen, für die Betroffenen bedeutet es sehr große Fortschritte. In Interviews, die im Rahmen der Evaluierung des Projektes gemacht wurden, führen die Frauen an, welche Veränderungen FRIDA für sie und ihr Leben gebracht hat. Von vielen wurde angesprochen, dass das Angebot für sie „Stressabbau“ bedeutet, sowie eine allgemeine Verbesserung in psychischer und physischer Hinsicht. Eine Frau gab an: „Es geht mir einfach besser, seit ich bei FRIDA bin.“