Mathias Mühlberger,
Direktor der Caritas Oberösterreich:
Frauen haben höheres Risiko in die Armutsfalle zu geraten
Statistisch wird die Armutsgrenze mit 60% des mittleren Pro-Kopf-Einkommens definiert - das sind beispielsweise 780 Euro pro Monat für einen Einpersonenhaushalt, 1.020 Euro für einen AlleinerzieherInnen-Haushalt mit einem Kind. Wessen Einkommen unter dieser Schwelle liegt, gilt als „armutsgefährdet“. Entsprechend dieser Definition sind in Oberösterreich rund 60.500 Männer und 91.500 Frauen als armutsgefährdet einzustufen. (Quelle: Armutsbericht Oberösterreich 2003).
60% der armutsgefährdeten OberösterreicherInnen sind also Frauen.
Rund 35.200 Frauen in Oberösterreich leben in akuter Armut. Von akuter Armut wird dann gesprochen, wenn laut Definition der EU „spürbare Einschränkungen zur Abdeckung der grundlegenden Lebensbedürfnisse“ hinzutreten, zum Beispiel aufgrund von Faktoren wie Substandardwohnung, Zahlungsrückständen etc. Auch hier sind fast zwei Drittel der OberösterreicherInnen, die von akuter Armut betroffen sind (insgesamt 55.400), Frauen.
Ursachen von Frauenarmut
Die Ursachen für das erhöhte Armutsrisiko von Frauen sind vielfältig. Zunächst sind Biographien von Frauen gekennzeichnet durch Erwerbsunterbrechungen aufgrund von Kinderbertreuungszeiten und/oder Pflegearbeit. Diese Lücken in der Erwerbstätigkeit wirken sich in Form von weniger oder wertreduzierter „Beitragsjahre“ für die Sozialversicherung aus. Aufgrund familiärer Sorgepflichten können Frauen oft nur in schlecht bezahlten Beschäftigungsverhältnissen arbeiten, was sich zunächst in einem geringeren verfügbaren Einkommen niederschlägt. In der Folge wirkt sich das auch auf die Höhe der Pension aus. Gerade im Alter sind Frauen überdurchschnittlich hoch von Armut bedroht. Die Pensionshöhe von Frauen beträgt im Schnitt nur 54% von jener der Männer. Besonders prekär ist vielfach die Situation von AlleinerzieherInnen. Nach Trennungen oder Scheidungen kommt oft noch dazu, dass Frauen weiterhin für die Schulden ihres ehemaligen Partners bürgen müssen. Probleme mit verzögerten Auszahlungen von Unterhaltsleistungen können ebenfalls zu existentiellen Krisen führen. Ein geringes Einkommen bedeutet nicht zuletzt, dass man sich unter Umständen die Miete nicht mehr leisten kann.
Verdeckte Wohnungslosigkeit: häufigste Form der Wohnungslosigkeit von Frauen
Da das Thema Frauenarmut ein sehr breites ist, möchten wir den Fokus auf das Problem der Wohnungslosigkeit von Frauen legen. Wohnungslosigkeit bedeutet nicht nur „auf der Straße stehen“, sondern hat viele Facetten. Die typische Erscheinungsweise von Wohnungslosigkeit bei Frauen ist die verdeckte Wohnungslosigkeit. Gerade Frauen versuchen aus Scham, solange wie möglich ihre Notlage zu verbergen und ohne institutionelle Hilfe auszukommen. Die Scham und die Angst, tatsächlich auf der Straße zu landen, ist groß. Einerseits aufgrund der Kinder, die sie ja in einem solchen Fall verlieren würden. Andererseits sind Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe von Männern dominiert und Frauen auf der Straße verstärkt Gewalt ausgeliefert. Daher beträgt der Frauenanteil in Tageszentren für wohnungslose Frauen und Männer generell nur rund 16%.
Viele Frauen versuchen daher, noch irgendwo bei Bekannten oder Freunden unterzukommen oder gehen „Zweckpartnerschaften“ ein. Oftmals schlittern sie dadurch in neue Abhängigkeiten. Vielfach münden solche „Zweckpartnerschaften“ in sexuelle oder psychische Gewalt, Alkohol- und Drogenmissbrauch. Dann ist schließlich die „akute“ Wohnungslosigkeit die Folge - die Frauen werden tatsächlich obdachlos. Das ist auch die Erfahrung unserer SozialarbeiterInnen im Tageszentrum der Caritas für Wohnungslose, der „Wärmestube“ in Linz: Auch dorthin kommen nur wenige Frauen. Jene, die kommen, sind in den meisten Fällen alkoholkrank oder drogenabhängig, sowie psychisch krank. Häufig gehen sie immer wieder neue „Zweckbeziehungen“ mit Männern ein, um bei ihnen wohnen zu können oder finanziell abgesichert zu sein. Aufgrund der Mehrfachproblematik ist es für diese Frauen kaum mehr möglich, aus eigener Kraft einen Weg aus der Krise zu finden.
In „Frauenhäusern“ finden Frauen nur dann Aufnahme, wenn Gewalt im Spiel ist. Für Frauen in anderen Krisensituationen aber fehlen betreute Wohneinrichtungen. In Oberösterreich - und hier nur in Linz - gibt es nur drei Einrichtungen mit einer begrenzten Anzahl von Wohnplätzen für Mütter und ihre Kinder. Eines davon ist das "Haus für Mutter und Kind" der Caritas für Menschen in Not. Die Warteliste ist bei allen drei Häusern sehr lang.
Keinerlei Einrichtungen gibt es in Oberösterreich bislang mit speziellem Betreuungsangebot für Frauen in Not mit psychischer Erkrankung.
Erhöhte "Sehkraft" für Armut
Um das Problem der Wohnungslosigkeit von Frauen in den Griff zu bekommen sind verschiedene konkrete Maßnahmen erforderlich:
mehr betreute Wohnplätze in Einrichtungen für Frauen in Krisensitutionen
entsprechende Angebote für Frauen mit psychischer Erkrankung
Förderung von sozialem Wohnbau, um mehr leistbaren Wohnraum zu schaffen
In Oberösterreich gibt es zweifellos gute sozialpolitische Initiativen zur Armutsbekämpfung, auch im Bereich der Frauenarmut. Dennoch existieren noch viele Lücken. So ist etwa das System der Wohnbeihilfe in Oberösterreich eine wichtige Unterstützung gerade auch für armutsgefährdete Frauen. Dennoch wird in Trennungssituationen in bestimmten Fällen die Wohnbeihilfe Frauen erst nach Vorliegen des Scheidungsurteils wieder zuerkannt. Hier ist während des Prüfverfahrens eine Überbrückungshilfe notwendig, ansonsten bedeutet die Wartezeit für manche Frauen bereits wieder eine existentielle Gefährdung.
Es braucht generell in unserer Gesellschaft eine „erhöhte Sehkraft“ im Hinblick auf Armut. Frauenarmut und -wohnungslosigkeit ist nicht zuletzt deshalb meist versteckt, weil sie niemand sehen will. Oft hat man den Eindruck, dass Vertreter von Politik, Behörden oder anderer Institutionen auf einem Auge blind sind, wenn es darum geht, Armut zu erkennen und zu handeln. Wir dürfen vor Armut nicht die Augen verschließen. Soziale "Sehschwäche" bringt den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ins Wanken.
Caritas sammelt im November für Frauen in Not
Die Caritas startet in Oberösterreich im November die traditionelle Elisabethsammlung. Unter dem Motto „Leben ohne Ausweg?“ ist sie heuer der Hilfe für Frauen in Not gewidmet. In unseren Beratungsstellen, der „Beratung und Hilfe“, sowie im Haus für Mutter und Kind unterstützen wir Frauen in Notsituationen. Diese Hilfe könnten wir aber ohne die Unterstützung von Spenderinnen und Spendern in Oberösterreich nicht leisten.
Helfen Sie uns Helfen.
Spendenkonto: RLB 1.245.000, Blz. 34000, „Inlandshilfe – Frauen in Not“
Eva Forster,
Leiterin Beratung und Hilfe (Caritas für Menschen in Not)
In unseren 7 Beratungsstellen in Oberösterreich versuchen wir österreichischen StaatsbürgerInnen und EU BürgerInnen in existenziellen Krisensituationen zu helfen. 2003 haben wir 6747 Beratungen mit 3361 Personen durchgeführt, davon wurden 3688 (55%) Beratungsgespräche mit Frauen geführt. Neben der Hilfe durch Beratung geben wir auch finanzielle bzw. materielle Überbrückungshilfe. Ein großer Teil der finanziellen Unterstützung muss für den Erhalt von Wohnraum aufgewendet werden. Zusätzlich haben wir eine große Menge an Sachspenden ausgegeben. 2003 wurden an 7.165 bedürftige OberösterreicherInnen 26.679 Stück gebrauchte Textilien, Schuhe und sonstige Sachspenden ausgegeben.
"Ich kann meine Miete nicht mehr bezahlen" oder "ich habe bereits einen großen Mietrückstand und werde meine Wohnung verlieren", ist eines der häufigsten Anliegen, mit dem die Leute zu uns kommen. Oder: "die Miete habe ich noch bezahlt, aber jetzt habe ich nichts mehr zu essen" - das ist der umgekehrte Weg.
Problem leistbarer Wohnraum
Ein Einkommensverlust durch Arbeitslosigkeit, Karenz, Trennung oder Scheidung, Pensionsbezug oder Invalidität führt sehr oft dazu, dass die Wohnung nicht mehr leistbar ist. Dann wird jongliert, die Miete wird bezahlt, dafür die Heizung nicht, im nächsten Monat umgekehrt. Wir unterstützen beim Erhalt von Wohnungen, wenn diese in Zukunft wieder leistbar sind, bzw. bis eine billigere Wohnmöglichkeit gefunden wird.
Ein Beispiel: Frau C. hat bis zum Frühjahr diesen Jahres mit ihrem Freund und dem gemeinsamen Baby in einer durchschnittlich teuren Genossenschaftswohnung gewohnt. Die Miete inklusive verpflichtendem Garagenplatz kostet 600 Euro, nach der Trennung bekommt sie 617 Euro Kinderbetreuungsgeld mit Zuschuss. Das sich das nicht ausgeht, ist ihr sehr schnell selber klar, sie sucht bei der Genossenschaft sofort um eine kleinere Wohnung an, bekommt die Auskunft: das dauert. Für einen Wohnungswechsel ist sie noch nicht lange genug in dieser Wohnung, es wird ihr wegen der bereits offenen Mieten eine Delogierungsklage angedroht. Bei einer anderen Genossenschaft bekommt sie nach längerer Suche doch noch eine kleinere, leistbare Wohnung. Ein Glücksfall - denn mittlerweile gehen die Genossenschaften dazu über, von ihren Kunden zu verlangen, dass sie mindestens das Dreifache der Wohnungskosten verdienen müssen, um eine Wohnung zu bekommen. Andernfalls brauchen sie einen Bürgen mit ausreichendem Einkommen. Und: Für die neue Wohnung muss wieder Kaution und Baukostenzuschuss bezahlt werden.
Versteckte Wohnungslosigkeit
Wohnungslosigkeit bei Frauen ist fast immer „versteckt“ - es gibt keine Statistiken über tatsächlich wohnungslose Frauen. Frauen wohnen vorübergehend bei Bekannten, oft nur Zufallsbekanntschaften, bei Freunden, ziehen zu ihren Eltern oder sonstigen Verwandten und ertragen unzumutbare Wohnbedingungen, damit sie nicht auf der Straße stehen. Vor allem Frauen mit Kindern lösen Wohnungsprobleme auf diese Art, eine Obdachlosigkeit bedeutet ausschließlich auch eine Abnahme der Kinder. In den Mutter Kind Einrichtungen gibt es meist eine lange Warteliste. Wohnungslosigkeit von Frauen kann sehr schnell passieren - oft nach einer Trennung, wenn die Wohnung dem Partner gehört und der sie auf der Stelle los werden will, auch mit den Kindern.
Akute Wohnungslosigkeit
Besonders schlimm ist die Situation, wenn die Frauen bereits obdachlos sind. In Linz haben 2003 137 Frauen in Obdachlosenheimen gewohnt, insgesamt haben 957 Personen diese Einrichtungen in Anspruch genommen. Meistens bedeutet das den totalen Absturz und eine Rückkehr ins „normale“ Leben ist langwierig. Was an Selbstachtung und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten noch da war, ist spätestens nach dem Abgleiten in die Obdachlosigkeit verschwunden. Meist ist es ein langer Weg und fast immer ist eine psychische Erkrankung die letztendliche Ursache. Frauen, die fast immer schon eine schwierige Kindheit hatten, landen bei einem Partner, der ihre Probleme vervielfältigt. Durch Existenzsorgen, Gewalt, Unterdrückung und Überforderung bei der Kindererziehung kann es zu psychischen Erkrankungen kommen, die dann wiederum zur Kindesabnahme führen, was den endgültigen Zusammenbruch zur Folge hat. Keine Frau überlässt gerne ihre Kinder anderen, auch wenn sie schon längst nicht mehr in der Lage ist, für sie zu sorgen.