Anlässlich des Start der Caritas-Haussammlung zeigt die Caritas OÖ. ein zentrales Thema in der Hilfe für Menschen in Not in Oberösterreich auf: die Arbeitslosigkeit. Bei einer Pressekonferenz am 30. März 2004 lud Caritas-Direktor Mathias Mühlberger die Medien ein, einmal auf die Menschen hinter den Zahlen der Arbeitslosenstatistik zu blicken.
Statement Mathias Mühlberger,
Direktor der Caritas Oberösterreich:
„Arbeitslosigkeit darf nicht auf Zahlenspiele reduziert werden. Gesellschaft und Staat müssen sich auch mit dem Leid der Menschen hinter den Zahlen auseinandersetzen, damit wir nicht auf einen sozialen Kollaps zusteuern“, warnt Caritas-Direktor Mathias Mühlberger.
Rund 7000 MitarbeiterInnen in den Pfarren sind im April und Mai wieder unterwegs von Tür zu Tür. Sie bitten um Spenden für die Haussammlung der Caritas OÖ. Sie übernehmen damit ehrenamtlich und unentgeltlich eine unschätzbar wichtige Aufgabe, die gleichzeitig keine einfache ist. Denn nicht überall werden sie freundlich empfangen. Doch ohne die Unterstützung der HaussammlerInnen wäre unsere Hilfe für Menschen in Not nicht möglich. Denn die Haussammlung ist die Basis für die Inlandshilfe der Caritas OÖ. Im Vorjahr sind 1,68 Mio. Euro gesammelt worden – etwas weniger als im Jahr 2002 (1,69 Mio. Euro). Dank dieser Spenden können wir Menschen in Oberösterreich helfen. Menschen in Not.
Wenn sich Menschen in Not an die Caritas wenden, spielt dabei die Arbeitslosigkeit sehr häufig eine zentrale Rolle. So sind rund zwei Drittel der Menschen, die sich an unsere Beratungsstellen, die „Beratung und Hilfe“ wenden, von Arbeitslosigkeit betroffen. Insgesamt verzeichneten unsere Beratungsstellen im Vorjahr rund 6730 Anfragen. Dabei kann man erfahrungsgemäß davon ausgehen, dass nur ein Bruchteil jener Menschen zu uns kommt, die sich in einer existenziellen Notlage befinden. Die Hemmschwelle ist sehr hoch, denn „zur Caritas“ zu gehen, heißt für viele, sich als „arm“ erkennen geben zu müssen und dadurch im sozialen Abseits zu stehen. Genau hier liegt auch ein großes Problem: In unserer Gesellschaft wird Arbeitslosigkeit nach wie vor allem als individuelle Schuld jedes einzelnen betrachtet. Obwohl bekannt ist, dass wirtschaftliche Veränderungen, die politisch unterstützt werden – Liberalisierung der Märkte, Rationalisierung, Globalisierung etc. – Arbeitslosigkeit nach sich ziehen. Dennoch ist Erwerbslosigkeit immer noch der wichtigste Faktor für soziale Ausgrenzung. In unserer Leistungsgesellschaft wird der Wert des Menschen immer noch über die Erwerbsarbeit und das Einkommen definiert. Dass nicht mehr genügend Arbeit für alle da ist, wird meist tabuisiert.
Arbeitslose Menschen geraten häufig unter massiven sozialen Druck und in Isolation. Verstärkt wird dieser Druck durch die arbeitsmarktpolitische Strategie der Sanktionierung – der Zugang zu Sozialleistungen wird erschwert, Kürzungen angedroht, Zumutbarkeitsbestimmungen verschärft. Das bedeutet enorme psychische Belastungen für die Betroffenen und mündet nicht selten in einem Teufelskreis. Denn mit Depressionen oder psychosomatischen Krankheiten ist es doppelt so schwer, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen.
Dabei kann Arbeitslosigkeit heute jeden treffen. Gute Qualifikation ist zwar ein gewisser Vorteil, aber schon lange kein Garantieschein mehr auf einen Arbeitsplatz. Wenn in Österreich auf eine Stelle durchschnittlich 11 Arbeitssuchende kommen, ist es rein rechnerisch Tatsache, dass bei jeder Bewerbung 10 dieser 11 Personen leer ausgehen und das „Los“ Arbeitslosigkeit ziehen. Auch das sind jedoch nur Statistikzahlen. Erst bei einem Blick auf die Menschen hinter den Zahlen ist das Ausmaß der Verzweiflung und Not zu erkennen. Durch unsere Hilfe für Menschen „von Angesicht zu Angesicht“ sehen wir täglich das Leben und auch das Leiden hinter den Zahlen und den Fassaden, die sich die Menschen oft mühsam aufrechterhalten.
Auch in unserem Tageszentrum für Obdachlose in Linz, der Wärmestube, steigen die BesucherInnenzahlen kontinuierlich an. 2003 verzeichneten die SozialarbeiterInnen der Wärmestube rund 23.800 Besuche, durchschnittlich rund 70 pro Tag. Hier ist ebenso zu beobachten, dass viele gut qualifizierte und auch immer mehr junge Menschen in einer Sackgasse landen und sich sogar keine Unterkunft mehr leisten können.
Das Problem Arbeitslosigkeit darf nicht nur auf Zahlenspiele reduziert werden. Wir als Caritas wollen auf die Situation der Betroffenen aufmerksam machen und insbesondere Verantwortungsträger in Politik und Wirtschaft einladen, einen Blick hinter die Zahlen zu riskieren. Denn wie mit dem permanenten Problem der Arbeitslosigkeit künftig umgegangen wird, bedeutet in letzter Konsequenz eine Zerreißprobe für unsere Gesellschaft. Auch in Oberösterreich sind die Anstrengungen von Politik und AMS bisher nicht ausreichend.
- Zielsetzung der Arbeitsmarktpolitik muss Aktivierung und Unterstützung der Betroffenen sein und nicht Sanktionierung.
- Dabei muss mehr als bisher auf individuelle Problematiken und Bedürfnisse der arbeitslosen Menschen Rücksicht genommen werden.
- Die Schulungsmaßnahmen des AMS sollten flexibler den Veränderungen am Arbeitsmarkt angepasst werden, um den Menschen auch realistische Chancen am Arbeitsmarkt zu eröffnen.
- Dringend notwendig ist die Einführung eines existenzsichernden Mindestarbeitslosengeldes bzw. einer Mindesthöhe der Notstandshilfe. Ein erfreulicher Schritt in die richtige Richtung wäre dazu der vor zwei Wochen von Prof. Walter Pfeil präsentierte Entwurf einer 15a-Vereinbarung zur Harmonisierung der Sozialhilfe. In dem von Bund und Ländern erarbeiteten Modell enthalten ist ein Rechtsanspruch auf eine existenzsichernde Mindestsicherung sowie eine Verbesserung des Zugangs zum Arbeitsmarkt für Sozialhilfeempfänger.
- Zielsetzung der Politik muss ebenso die Schaffung von leistbarem Wohnraum sein.
- Soziale Projekte und sozialökonomische Betriebe für arbeitslose Menschen mit zusätzlichen sozialen Benachteiligungen oder Beeinträchtigungen müssen auch künftig finanziell abgesichert und gefördert werden.
- Nicht zuletzt muss in der Öffentlichkeit das Bewusstsein gefördert werden, dass Arbeitslosigkeit nicht als Individualschuld interpretiert werden darf.
Mit unserer Kampagne zur Haussammlung mit dem Slogan „Menschspartag“ wollen wir darauf hinweisen, dass auch Menschen in Not uns soviel wert sein sollten, für sie Geld zu „sparen“ bzw. zu investieren. Es geht um Investitionen in die Menschlichkeit und das Miteinander in der Gesellschaft. Denn jeder kann – zum Beispiel durch Arbeitslosigkeit – in eine Notlage geraten und ist dann auf die Solidarität der anderen angewiesen.
Statement Eva Forster,
Leiterin Beratung und Hilfe (Caritas für Menschen in Not)
Arbeitslosigkeit kann jeden treffen
2003 war jede/r 4. unselbstständig Erwerbstätige mindestens einen Tag arbeitslos gemeldet. Es wurden 847.442 Anträge auf Arbeitslosengeld gestellt, das sind 774.242 Personen, die einmal oder öfter arbeitslos wurden. In Oberösterreich waren es 2003 knapp 20 Prozent der 553.622 unselbständig Beschäftigten, die ein- oder mehrmals arbeitslos waren (122.321 Anträge, 105.839 Personen). Die Arbeitsverhältnisse werden immer unsicherer, viele Menschen sind gezwungen, sich im Laufe ihres Lebens immer wieder einen neuen Job zu suchen. Zu dem Risiko, den Job zu verlieren, kommt auch das Risiko, nach der Arbeitslosigkeit einen schlechteren Job annehmen zu müssen und weniger zu verdienen. Der Weg in die Armut ist dann oft schon vorgezeichnet. Denn wer weniger verdient, bekommt bei einer erneuten Arbeitslosigkeit auch weniger Arbeitslosengeld.
Keine Statistik sagt jedoch etwas darüber aus, wie es den Menschen geht, die hinter diesen Zahlen stehen. Wir von der Caritas Beratung und Hilfe führen auch eine Statistik, daraus geht hervor, dass zwei Drittel der bei uns vorsprechenden Personen auf Grund von Arbeitslosigkeit zuwenig Einkommen haben, sie können ihre Mieten nicht mehr bezahlen, notwendige Reparaturen nicht machen lassen, sich keine Kleidung kaufen und haben oftmals nichts mehr zu Essen im Haus. Die Menschen sind unter enormen Druck, viele haben Depressionen.
Im Ansteigen ist die Zahl der Vorsprachen, bei denen Arbeitslosigkeit mit Krankheit verbunden ist. Eine rigorose Handhabung der Zuerkennung von Invalidenpensionen hat dazu geführt, dass immer mehr Menschen trotz massiver körperlicher Einschränkungen als arbeitsfähig gelten. Den Satz: eine sitzende Tätigkeit ist zumutbar, haben wir schon oft gehört, nur den dafür passenden Arbeitsplatz gibt es nicht. Der Arbeitsmarkt hat keine Verwendung für einen 45jährigern Maurer mit kaputter Wirbelsäule, der nichts lieber hätte, als eine Arbeit mit der er wieder soviel verdient, dass er seine Rechnungen bezahlen kann. Dieser Mann hat durchschnittlich 1700€ verdient, jetzt bekommt er 762€ Notstandshilfe.
Es häufen sich auch die Vorsprachen von Eltern, die in finanziellen Schwierigkeiten sind. Jugendliche wohnen bei ihren Eltern ohne jegliches Einkommen, oft haben sie auch keine Ausbildung, Lehrstellen gibt es nicht für alle. Wenn die Mutter dann noch alleinerziehend ist oder ein Elternteil wegen Krankheit eine Invalidenpension bezieht, wird es eng. Meist gibt es auch keinen Anspruch auf Familienbeihilfe mehr. Die Jugendlichen wollen sich selbstständig machen, ohne Arbeit kein Geld, ohne Geld keine Wohnung, der Frust wird auch zu Hause ausgelassen. Es werden Schulden gemacht, die negativen Folgen sind jahrelang spürbar.
Sehr oft hören wir, ich schäme mich so, ich hätte mir nie gedacht, dass ich einmal zur Caritas gehen muss. Ich habe immer gearbeitet, bis die Firma in Konkurs gegangen ist, mein Arbeitsplatz wegrationalisiert wurde, ich krank wurde, die schlechte Auftragslage mich überflüssig gemacht hat, ich mit den sich ändernden Anforderungen nicht mehr mitgekommen bin, wegen der Kinder nicht genug flexibel bin etc. Meist folgt dann noch: die Kündigung traf mich völlig unvorbereitet, ich suche verzweifelt einen neuen Job, ich habe bereits über 100 Bewerbungen abgeschickt, das Arbeitsamt kann mir auch nicht helfen, ich bin zu alt, zu krank, habe das Falsche gelernt, bei uns in der Gegend gibt es keine Arbeit usw. Zu beobachten ist auch, dass Menschen zwar eine Schulungsmaßnahme des AMS absolvieren, dann aber auch keine Arbeit finden, weil die Qualifikation am Arbeitsmarkt gar nicht gefragt ist. Oder sie werden nicht genommen, weil ihnen die Berufserfahrung fehlt.
Deshalb wird die Frage auch oft an uns gerichtet: Haben Sie nicht eine Arbeit für mich? Die haben wir leider nicht, das wäre die Lösung der meisten Probleme, wir können nur etwas Druck wegnehmen, indem wir Rechnungen bezahlen, Lebensmittel und Kleidung ausgeben, Haushaltspläne erstellen und den Menschen Tipps geben, wie sie mit dem wenigen Geld überleben können.
Spendenkonto:
Raiffeisenlandesbank OÖ
Kto.Nr.: 1.245.000, BLZ: 34 000
Verwendungszweck: Haussammlung