Zielsetzung ist es, benachteiligte Menschen zu unterstützen, um eine Beteiligung dieser Personengruppen an den politischen Prozessen zu erreichen. Statements und Fotos der Pressekonferenz:
Mathias Mühlberger, Direktor der Caritas Oberösterreich
Chancen nützen, eine europäische Sozialpolitik mitzugestalten.
„Trotzdem unsere vorrangige Aufgabe die Hilfe für benachteiligte Menschen vor Ort ist, müssen wir als Caritas gerade unsere Erfahrungen in der täglichen Nothilfe nützen, um uns in den Gestaltungsprozess einer europäischen Sozialpolitik einzubringen“, betont Mathias Mühlberger, Direktor der Caritas OÖ.
Armut und soziale Ausgrenzung werden mit dem Zusammenrücken der europäischen Staaten verstärkt thematisiert. Die ersten Schritte in Richtung einer gemeinsamen europäischen Sozialpolitik wurden bereits gesetzt. Eine Entwicklung, die ausgesprochen positiv zu bewerten ist. Denn um Frieden und Stabilität in einem gemeinsamen Europa sicherzustellen, ist nicht nur die Kooperation und Integration auf wirtschaftlicher Ebene entscheidend, die derzeit noch im Vordergrund steht.
In der Europäischen Union vollziehen sich gegenwärtig strukturelle Veränderungen, die für einen Teil der Gesellschaft positiv sind, für viele aber auch neue Risiken von Armut und sozialer Ausgrenzung bergen: Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt infolge der Globalisierung und des rasant steigenden Stellenwertes von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien, eine verstärkte internationale Migration, demografische Entwicklungen etc. Diese Veränderungen bedeuten für die derzeitigen als auch die künftigen Mitgliedsstaaten große Herausforderungen, die der politischen Antworten bedürfen. Schon jetzt sind wir mit alarmierenden Zahlen konfrontiert: 34 Millionen Arbeitslose und 130 Millionen Einkommensarme in Europa. Zahlen, hinter denen Menschen stehen, die jeden Tag um ihre Existenz bangen und kämpfen müssen.
Die größte Herausforderung einer gemeinsamen europäischen Sozialpolitik wird es sein, die sehr unterschiedlichen Sozialsysteme der Mitgliedsstaaten zu harmonisieren und dabei ein möglichst hohes Niveau zu halten. Bei diesem Prozess muss größtes Augenmerk auf die Integration jener gelegt werden, die von sozialer Ausgrenzung betroffen oder bedroht sind. Den sozial Ausgegrenzten fehlt jedoch die machtvolle Lobby im Hintergrund, die ihre Interessen durchsetzt. Wir als Caritas verstehen uns als „Anwalt“ dieser Menschen, deren Kraft über den täglichen Existenzkampf hinaus nicht ausreicht, um sich Gehör zu verschaffen. Deshalb setzen wir uns dafür ein, die Partizipation von benachteiligten Menschen an politischen Prozessen zu unterstützen und voranzutreiben.
Das ist auch der Grund, warum wir als Caritas Oberösterreich die Chance genützt haben, uns im EU-Projekt ENSI einzubringen. Es ist eine Chance, die politischen Rahmenbedingungen auf europäischer als auch nationaler Ebene mitgestalten zu können. Diese Chancen sollten sich auch in Österreich sowohl politische Akteure als auch Nichtregierungsorgansiationen nicht entgehen lassen, denn eine gemeinsame europäische Sozialpolitik wird auch auf nationaler und regionaler Ebene neue Voraussetzungen und Vorgaben bringen. Durch die Vernetzung von AkteurInnen auf europäischer Ebene ist es möglich, gemeinsame Ziele und Interessen einzubringen und auch deren Umsetzung einzufordern. Denn den politischen Absichtserklärungen müssen auch Taten folgen. Gerade regionale Initiativen können hier gute Beispiele darstellen, wie die Integration von sozial Benachteiligten in die Tat umgesetzt werden kann.
Anne Wegner, Projektleiterin ENSI
Angesichts von 34 Millionen Arbeitslosen und 130 Millionen Einkommensarmen in Europa muss die gesellschaftliche Integration von Menschen, die von Ausgrenzung betroffen oder bedroht sind, eine zentrale Aufgabe europäischer Sozialpolitik sein. Im Rahmen und mit Unterstützung des EU-Programms zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung wurde deshalb ENSI (European Network: Consultants for Social Inclusion) entwickelt – ein Projekt, in dem sozialpolitische Akteurinnen und Akteure lernen, Partizipationsprozesse auf lokaler, regionaler oder nationaler Ebene gemeinsam mit ausgegrenzten Menschen zu initiieren und zu gestalten.
Am ENSI-Projekt sind der Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln in Kooperation mit den Diözesan-Caritasverbänden in Nordrhein-Westfalen (Deutschland), die Caritas Oberösterreich (Österreich), die Fédération des Equipes Saint-Vincent, Paris (Frankreich), die Deutsch-Griechische Industrie- und Handelskammer, Thessaloniki (Griechenland) sowie die Steunpunt Minderheden Overijssel, Almelo (Niederlande) beteiligt.
Die Schwerpunkte der ersten Projektphase lagen auf der Entwicklung von Fortbildungsmodulen und der Sammlung von Best-Practice-Beispielen für die Mitwirkung benachteiligter Menschen an gesellschaftspolitischen Prozessen. Der Vergleich der einzelnen nationalen Aktionspläne zur Bekämpfung sozialer Ausgrenzung hat gezeigt, dass partizipative Ansätze in einigen Ländern kaum ausgeprägt sind, sodass die Partner viel voneinander lernen können. Zusammengefasst sind die Ergebnisse in einem Handbuch für sozialpolitische Akteurinnen und Akteure.
Nachdem dieser Teil des Projektes mit dieser Veranstaltung nun erfolgreich abgeschlossen wurde, sollen ab Dezember 2003 die Erkenntnisse und Modelle in einer zweijährigen Praxisphase umsetzen werden. Dabei wird ENSI von zwei weiteren europäischen Partnern verstärkt: einer Frauen-Selbsthilfe-Gruppe aus dem polnischen Dabrowa Gornicza und Clinks, einer britische Dachorganisation aus York, die im Bereich der Wiedereingliederung von Haftentlassenen arbeitet.
In transnationalen Workshops, die zu verschiedenen Themen in allen beteiligten Ländern stattfinden sollen, werden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Beraterinnen und Beratern für soziale Eingliederung fortgebildet. Zusammen mit Betroffenen werden dabei Türen geöffnet und unkonventionelle Wege beschritten. Diese Qualifizierungsmaßnahmen sind jedoch nicht nur Fortbildungs-, sondern auch als Informationsveranstaltungen, auf denen Politiker/innen, Sozialarbeiter/innen, Vertreter/innen von Selbsthilfegruppen und Betroffenen ihre Ideen und Erfahrungen direkt auszutauschen können. So lassen sich europaweite Netze für weitere transnationale Kooperationen knüpfen. Zudem sollen Politik und Verwaltungen in ganz Europa nachhaltig zur Förderung von sozialer Eingliederung durch Partizipation mobilisiert werden.
Eva Forster, Stellenleiterin Soziale Beratung und Hilfe Caritas OÖ
Partizipation von Armut und Ausgrenzung betroffener Personen
Nationaler Aktionsplan Österreich
Beim EU-Gipfel von Nizza haben sich die europäischen Regierungen verpflichtet, alle zwei Jahre Nationale Aktionspläne gegen Armut und soziale Ausgrenzung zu entwickeln. Ein Ziel ist die Mobilisierung und Einbindung aller AkteurInnen, das sind alle relevanten Ministerien, Verantwortliche in den Ländern, wissenschaftliche ExpertInnen, ExpertInnen der sozialen Praxis in den NPO`s und Betroffenenorganisationen. In Österreich hat die Einbeziehung aller relevanten Akteure keine Tradition, daher finden sich in den beiden österreichischen Nationalen Aktionsplänen gegen Armut und Ausgrenzung 2001 und 2003 nur wenige Hinweise auf die konkrete Einbeziehung von Betroffenen in politischen Prozessen. Wir meinen, dass tatsächlich von Armut und Ausgrenzung betroffene Personengruppen in Informations-, Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden müssen. Maßnahmen, die ohne Beteiligung der Betroffenen beschlossen werden, gehen oft an deren Bedürfnissen vorbei. Es braucht Strukturen, die eine Einbindung ermöglichen. Zurzeit werden Stellungnahmen zu Gesetzesentwürfen oder auch zum Nationalen Aktionsplan erbeten, es gibt aber keine Verpflichtung diese einzuholen und zu bearbeiten. Es muss auch berücksichtigt werden, dass jede Gruppe ihre eigene Form hat sich einzubringen, Gesetzestexte verstehen und ergänzen können wenige Menschen.
Best-Practice-Beispiele aus Oberösterreich
Wir haben unser Augenmerk auf die Vielfalt gerichtet und uns auf die Suche nach Projekten gemacht, die von Betroffenen gestaltet werden und auch gesellschaftspolitisch wirksam sind.
Gefunden haben wir Projekte von arbeitslosen Menschen, Wohnungslosen und MigrantInnen, also Personengruppen, die stark von Armut und Ausgrenzung betroffen sind.
- Das Obdachlosenprojekt „Kupfermuck’n“ der „ARGE für Nichtsesshafte“ produziert und vertreibt eine Straßenzeitung, in der wohnungslose Menschen ihre Geschichte(n) schreiben. Durch den öffentlichen Straßen-Verkauf der Zeitung von den Wohnungslosen selbst, sind sie im Stadtbild präsent und nehmen aktiv am gesellschaftlichen Leben teil. Die RedakteurInnen besuchen öffentliche Veranstaltungen, machen Interviews, schreiben Artikel aus ihrer Sicht, machen ihre Lebensgeschichten öffentlich und informieren somit interessierte Personen, die mit derart Ausgegrenzten im Normalfall nie in Kontakt kämen, über ihre Sicht der Dinge. Dadurch passiert Integration und Teilhabe an der Gesellschaft.
- Das „Steyrer Ausländerforum“ wurde 1999 gegründet, um den 4700 BewohnerInnen aus 50 verschiedenen Nationen in Steyr einen Gremium zu bieten, das ihre Interessen und Anliegen vertritt. Die Mitglieder werden gewählt und sind auch im Beirat für Integrationsfragen vertreten, der wiederum Vorschläge, Anregungen, Anfragen und Stellungnahmen an die Stadtpolitik heranträgt. Ziel ist es, die Anliegen als MitbürgerInnen ausländischer Herkunft sowie Probleme im Zusammenleben transparent zu machen und Lösungsstrategien zu entwickeln. Besonders von Bedeutung ist der Informationsaustausch zwischen den einzelnen ausländischen Bevölkerungsgruppen sowie zwischen In- und Ausländern.
- Der Verein „AhA“, Arbeitslose helfen Arbeitslosen, wurde durch die Initiative Arbeitsloser gegründet und wird seither von diesen ehrenamtlich und partei-unabhängig geführt. Die Aufgaben und Ziele des Vereines sind Arbeitssuchende vor allem über 40 zu beraten, sie vermitteln bei Problemen mit dem AMS, machen Mut durch Gespräche unter den Betroffenen, um mit der eigene Arbeitslosigkeit besser fertig zu werden. Sie betreiben auch Bewusstseinsbildung bei der arbeitenden Bevölkerung, damit Arbeitslose nicht ausgegrenzt und vorverurteilt werden. Darüber hinaus zeigen sie Probleme der Arbeitslosen in der Politik auf und wollen an Lösungsmöglichkeiten mitarbeiten.
Wir haben uns auch in der Politik umgesehen und sind im Sozialressort des Landes Oberösterreich fündig geworden. Sozial-Landesrat Josef Ackerl hat bei der Erstellung des Jugendschutzgesetzes und des Behindertengesetzes Betroffene auf breiter Basis miteinbezogen. Die Jugendlichen wurden am Gesetzwerdungsprozess beteiligt und es war ein Versuch, die Sichtweisen, Anregungen, Bedenken und Wünsche der Jugendlichen ernst zu nehmen und in das neue Jugendschutzgesetz einzuarbeiten.
Das oberösterreichische Behindertengesetz wird gerade nach demselben Prinzip überarbeitet. Alle damit befassten Organe, Interessensvertretungen, Anbieter, Berufsverbände und natürlich Menschen mit Beeinträchtigungen werden einbezogen. Neu ist, dass die Hauptzielgruppe, Menschen mit Beeinträchtigungen, als Kunden gesehen wird und somit einen völlig anderen Stellenwert als „Hilfeempfänger“ hat.
Die aktive Beteiligung von Hauptzielgruppen eines Gesetzes war bisher nicht üblich und diese Beispiele beweisen, dass es sehr wohl möglich ist, Betroffene auf breiter Basis an Gesetzeserstellungen zu beteiligen. Die Einbeziehung aller Betroffenen bei allen behördlichen Maßnahmen ist anzustreben. Das bedeutet aber auch, dass Gesetze einen langen Weg haben - Partizipationsprozesse brauchen Zeit.
Eine besonders von Armut und Ausgrenzung betroffene Gruppe sind AlleinerzieherInnen, vor allem Frauen mit kleinen Kindern. Durch die Kinderbetreuung und das fehlende Geld ist es den Frauen fast nicht möglich, außerhäusliche Aktivitäten zu setzen. Wir planen in der 2. Phase des Projektes ENSI einen Film mit Alleinerziehenden, um deren Bedürfnisse öffentlich zu machen.