Pressegespräch zur Osthilfesammlung 2004

Anlässlich der Osthilfesammlung informiert die Caritas Oberösterreich über die Situation von Straßenkindern im Osten Europas. Alle Statements der Pressekonferenz und Fotos:

Mathias Mühlberger,
Direktor der Caritas Oberösterreich:

Die Osthilfesammlung der Caritas im Februar ist eine wichtige Grundlage für unsere Hilfe in den ärmsten Ländern im Osten Europas. Die EU-Osterweiterung bedeutet zwar für die Beitrittskandidaten eine große Chance und der durchschnittliche Lebensstandard hat sich in diesen Ländern bereits gebessert. Allerdings sind die Beitrittsländer immer noch deutlich ärmer als die jetzigen EU-Mitgliedsstaaten. Und die sozialen Sicherungssysteme tragen nicht, Millionen von Menschen kämpfen täglich um ihre Existenz. Für sie ändert sich ihre Lebenssituation durch den EU-Beitritt nicht von einen Tag auf den anderen.

Mit Hilfe der EU wird es zwar möglich, Projekte zur Armutsbekämpfung zu initiieren, es wird jedoch immer auch ein Teil an Eigenmitteln verlangt. Daher wird die Unterstützung der Caritas und anderer Hilfsorganisationen immer noch dringend notwendig sein. Für uns alle bedeutet die Erweiterung eine große Herausforderung, die europäische Sozialpolitik gemeinsam mitzugestalten, um das Armutsproblem in den Griff zu bekommen und den sozialen Frieden zu erhalten. Dabei dürfen aber auch jene Länder nicht in Vergessenheit geraten, die nicht in den Prozess der EU-Osterweiterung eingebunden sind. Unsere Solidarität mit Menschen in Not muss auch über die erweiterten EU-Grenzen hinaus wirksam bleiben.

Schwerpunkt der diesjährigen Osthilfesammlung ist die Hilfe für Kinder, die kein Zuhause haben. Ihr „Schlafzimmer“ ist in vielen Fällen die Straße, ihr Bett oft nicht einmal ein Stück Karton, das sie auf der Müllhalde finden. Offizielle Zahlen, wie viele Kinder und Jugendliche ein Leben auf der Straße führen müssen, gibt es nicht. Es gibt nur ungefähre Schätzungen – so sollen etwa in der rumänischen Hauptstadt Bukarest über 1000 Kinder auf der Straße leben, in der russischen Föderation wird die Zahl der obdachlosen Kinder und Jugendlichen auf eine halbe Million geschätzt.

Die Gründe, warum Kinder zu Straßenkindern werden, sind vielfältig. Der Faktor Armut spielt dabei aber immer eine Rolle. Forschungen belegen, dass Straßenkinder überwiegend aus armen und kinderreichen Familien stammen. Die Armut und Hoffnungslosigkeit in den Familien mündet nicht selten in Gewalt und Alkoholmissbrauch. Eltern, die tagsüber hart arbeiten müssen oder mit Problemen wie Arbeitslosigkeit zu kämpfen haben, können ihren Kindern kaum Wärme und Geborgenheit geben. Den Kindern bleibt dann oft keine Wahl, sie müssen ihr Zuhause verlassen. Manchmal erscheint ihnen das harte Leben auf der Straße sogar als das geringere Übel.
Das Leben auf der Straße ist jedoch ein täglicher Überlebenskampf. Die obdachlosen Kinder und Jugendlichen werden Opfer von Gewalttaten, viele haben mit Drogenproblemen zu kämpfen, manche werden kriminell oder sehen sich in ihrer Not dazu gezwungen, sich zu prostituieren. Ohne Ausbildung haben diese Kinder auf sich allein gestellt kaum eine Chance, ein anderes Leben zu beginnen.

Die Auslandshilfe der Caritas unterstützt in vielen Ländern Projekte, die Straßenkindern eine Anlaufstelle bieten, wo sie neben einem Dach über dem Kopf auch Zuwendung finden können. Wenn es für sie keine Chance mehr gibt, in ihr Elternhaus zurückzukehren, wird versucht, ihnen zumindest eine Ausbildung zu ermöglichen und damit Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Um es gar nicht so weit kommen zu lassen, dass Kinder ihr Zuhause verlassen müssen, unterstützt die Caritas präventiv auch Familien in Not. Nachdem die meisten Staaten mit dem Problem der Straßenkinder überfordert sind, bleiben Hilfsorganisationen wie die Caritas wohl noch für längere Zeit die einzige Hoffnung für die Kinder und Jugendlichen auf der Straße.


Dr. Christoph Mülleder,
Leiter der Auslandshilfe der Caritas OÖ.:

Die Auslandshilfe der Caritas Oberösterreich ist eingebettet in das nationale und internationale Caritasnetzwerk und besteht aus 5 MitarbeiterInnen. Haupteinsatzregion der Caritas Oberösterreich ist Osteuropa und hier die Länder Weißrussland, Rumänien, Bosnien-Herzegowina, Serbien und Montenegro und Russland (Sibirien). Die Spenden Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher für die Osthilfesammlung (rund 240 000 Euro im Vorjahr) werden für unsere Projekte in diesen Ländern verwendet. Ein Teil der Spenden kommt auch pastoralen Projekten des Osthilfefonds der Diözese Linz zugute. Ziel des Osthilfefonds ist es, kirchliche Einrichtungen zu stärken, damit von ihnen soziale Aufgaben übernommen werden können, die von den wirtschaftlich schwachen Staaten nicht erbracht werden.

In Weißrussland ist die politische und wirtschaftliche Situation dramatisch, dazu kommen die Auswirkungen des Reaktorunglücks von Tschernobyl. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt unter der Armutsgrenze mit weniger als 41 Euro pro Monat. Für das Gesundheits- und Sozialwesen hat der Staat kein Geld, Medikamente, Verbandsmaterial und Spritzen müssen etwa Patienten selbst ins Krankenhaus mitnehmen. Die Auswirkungen zeigen sich auch in den demographischen Daten: Die Lebenserwartung sinkt, ebenso wie die Geburtenrate. Die Caritas hilft mit der Verteilung von Hilfsgütern, der Unterstützung von Behinderten- und Obdachlosenheimen, Armenküchen, Erholungsaktionen für Kinder etc.

In Bosnien-Herzegowina schweigen zwar seit dem Friedensabkommen von Dayton 1995 die Waffen, die soziale und wirtschaftliche Situation ist aber nach wie vor dramatisch. Die Arbeitslosigkeit beträgt über 40 Prozent, es gibt noch immer viele Flüchtlinge und Vertriebene, ausländische Investoren sind sehr zurückhaltend. Der schwache Staat ist nicht in der Lage, seine Aufgaben im Sozial- und Gesundheitsbereich auch nur annähernd zu erfüllen. Die Caritas hilft mit Sozialhilfe für besonders arme Familien, Behinderteneinrichtungen, Heimhilfe sowie dem Haus Mirjam für Frauen in Not.

Die Lage in Serbien und Montenegro ist vergleichbar mit jener in Bosnien-Herzegowina. Die Caritas Oberösterreich unterstützt dort die Caritas beim Aufbau eines mobilen Heimhilfe- und Hauskrankenpflegesystems und sichert den Betrieb einer Armenküche.

Das Engagement der Caritas Oberösterreich im Ausland ist grundsätzlich auf „Hilfe zur Selbsthilfe“ und der Förderung von Eigeninitiative ausgerichtet. Wir bauen daher in unserer Arbeit auf die lokalen Caritas-Partnerorganisationen, die vor Ort die Projekte initiieren und durchführen. Sie erhalten von der Caritas OÖ. nicht nur finanzielle Unterstützung, sondern Beratung bei der nachhaltigen Planung und Durchführung von Projekten (Know-how Transfer) und beim Aufbau der Hilfsstruktur (Organisationsentwicklung), um die Hilfe für die Menschen langfristig abzusichern.

Mag. Edith Bürgler-Scheubmayr,
Projektreferentin Rumänien der Auslandshilfe der Caritas OÖ.:

Leben in Rumänien
23 Millionen Menschen leben in Rumänien. Über 20 Prozent der Bevölkerung müssen mit weniger als 2 Euro pro Tag auskommen. Das Durchschnittseinkommen liegt bei rund  130 Euro im Monat. Die Lebenshaltungskosten sind ständig im Steigen begriffen. Auch wenn die Grundnahrungsmittel Brot mit 30 Cent und Mehl mit 40 Cent günstig anmuten, ist das Leben für viele Menschen ein täglicher Existenzkampf. Eine durchschnittliche Monatsmiete schlägt sich mit 80 bis 100 Euro im Monat zu Buche. Energiekosten galoppieren davon. Nach wie vor sichert die Selbstversorgungslandwirtschaft das Auskommen ganzer Familien. Auch wenn die offizielle Arbeitsrat bei „nur“ 10 Prozent liegt, ist zu bedenken, dass rund 40 Prozent in der Landwirtschaft beschäftigt sind. Und gerade in den ländlichen Gebieten ist die Armut am größten. Ganz besonders treffen diese Lebensbedingungen alte Menschen, kinderreiche Familien, AlleinerzieherInnen.

Rumänien auf dem Weg zur EU
Rumänien ist EU-Beitrittskandidat. Auch wenn in der wirtschaftlichen Entwicklung und in der Infrastruktur des Landes deutliche Verbesserungen spürbar sind, ist die Hoffnung der einfachen Menschen bescheiden. Die Skepsis zeigte sich u.a. auch an der geringen Beteiligung an der Abstimmung im Oktober über die Verfassungsänderung zur Vorbereitung auf den EU-Beitritt. Die Kolchosenrentnerin mit einer Pension von 8 Euro im Monat macht sich keine Illusion darüber, dass die EU ihr Leben verändern könnte. Und dennoch sind vor allem auch in der sozialen Arbeit die positiven Vorzeichen der Veränderung merkbar. Die rechtlichen Rahmenbedingen im Sozial- und Gesundheitswesen wurden stark verbessert. Es scheitert jedoch noch an der Umsetzung und noch immer sind viele Leute außerhalb des staatlichen Gesundheitswesens. Abgesehen davon, dass Patienten bei einer Behandlung im Krankenhaus ihr Medikamente noch immer selbst mitbringen müssen.

Die Arbeit der Caritas in Rumänien
Seit 1990 arbeitet die Caritas Oberösterreich mit der Caritas Alba Iulia in Siebenbürgen zusammen. 200 Caritas-MitarbeiterInnen kümmern sich in der Diözese, die ca. so viele Einwohner hat wie Österreich, um jene Menschen, die dringendst Hilfe brauchen. Das sind vor allem Kinder, Familien und alte Menschen. Die wichtigsten Projekte sind: Sozialberatungsstellen, wo Menschen existentielle Hilfe erhalten; Mobile Alten- und Hauskrankenpflege und die verschiedensten Angebote für bedürftige Kinder (heilpädagogischer Kindergarten, Kinderferien für Kinder aus ärmsten Familien und Familienpatenschaften).

Ein Haus für Straßenkinder in Petrosani
Nora Dubyk ist 23 Jahre und Sozialarbeiterin der Caritas in Petrosani. Petrosani, das ist der Hauptort eines ehemals blühenden Kohlereviers in den Südkarpaten (Schiltal). Nach dem Kollaps der staatlichen Betriebe liegt die Arbeitslosenrate nach inoffiziellen Schätzungen im Tal bei 60 Prozent. Nicht nur die wirtschaftliche Lage der Familien ist verheerend, fast schlimmer ist die Hoffnungslosigkeit. Viele der Bewohner wurden erst in den 80iger Jahren in der Region vom Ceaucescu-Regime zwangsangesiedelt. Sie haben keine Wurzeln, nachhause können sie auch nicht mehr. Alkoholismus, Kriminalität, Gewalt, AIDS sind schwerwiegende Probleme. Besonders leiden die Kinder. Seit einigen Jahren organisiert die Caritas-Mitarbeiterin Nora Dubyk eine Sozialberatungsstelle, eine Armenküche, eine Samstagsschule für Kinder aus sehr armen Familien. Jedes Jahr gibt es Sommercamps für Kinder. Rund 50 Familien werden im Rahmen eines Patenschaftsprojekts regelmäßig betreut. Mit 25 Euro im Monat unterstützen auch Spender aus Oberösterreich einzelne Familien.

Die zunehmende Zahl der Straßenkinder stellt die Caritas Petrosani vor eine neue Herausforderung. 20 Kinder und Jugendliche, die ohne Eltern auf der Straße überleben, kennt Nora persönlich. Zum Teil sind sie noch nicht im schulpflichtigen Alter. Die Stadtverwaltung schaut weg und ist trotz intensivster Interventionen nicht bereit, hier zu helfen.

Im Sommer wurde von der Caritas Petrosani mit Unterstützung der Caritas Trier ein älteres Haus mit großem Garten angekauft. Das Haus wird jetzt zu einem Haus für Straßenkinder ausgebaut und renoviert. Die Caritas Oberösterreich unterstützt dieses Projekt. Obwohl das Haus noch gar nicht  fertig ist, kommen Nacht für Nacht schon fünf Kinder. Zum Beispiel Iuli, Danut und Andi. Sie sind drei von sieben Kindern einer Familie im Schiltal. Ihre Mutter ist schwer krank, ihr Vater schickt sie zum Betteln auf die Straße. Wenn sie nicht genügend Geld nach Hause bringen, schlägt er sie. Nach der ersten Nacht im Straßenkinderhaus erzählten sie, dass ihre Mutter sie hergeschickt hat, weil sie weiß, dass sie hier in guten Händen sind.

Nora Dubyk und ihr Team versuchen Kontakt zu den Kindern aufzubauen. Sie sind misstrauisch, der Überlebenskampf auf der Straße hat sie hart gemacht. Sie sind Gewalt, Misshandlungen gewohnt und auch die Unabhängigkeit. Es ist nicht einfach sich an Regeln zu halten und einzufügen.

Rund 52.000 Euro wird der Ankauf des Hauses, der Ausbau und die Sanierung insgesamt kosten. Im Vollbetrieb können dann bis zu 18 Kinder im Haus schlafen, essen, duschen, bekommen Kleidung vor allem menschliche Zuwendung und Wärme. Rund 4 Euro kostet die Unterbringung pro Tag für ein Kind. Darin enthalten sind Essen, Betriebskosten und die Personalkosten.

 

Aktionstag der Caritas OÖ. Auslandshilfe für Straßenkinder in Rumänien:

Termin: 6. Februar 2004, ab 12 Uhr
Ort: Taubenmarkt, Linz

Am 6. Februar errichtet die Caritas OÖ. Auslandshilfe am Taubenmarkt ein Haus für Straßenkinder in Rumänien. Passanten können mit ihren Spenden mithelfen, das Haus zu bauen. Die Firmen AREV Immobilien und Aktivbau greifen zu Hammer und Säge und werden das Haus am Taubenmarkt symbolisch in Form eines Holzbaues „live“ errichten. Das fertige Modellhaus ist durchaus für den Gebrauch als Garten- oder Spielhaus geeignet. Mit den Spenden aus Oberösterreich wird das „echte“ Caritas-Haus für Straßenkinder in Petrosani (Rumänien, Südkarpaten) ausgebaut und saniert.

Helfen Sie uns helfen.
Spendenkonto:
Raiffeisenlandesbank OÖ.,
Kto.Nr.: 1.245.000, BLZ 34.000
Verwendungszweck: „Osthilfe“


Die Caritas freut sich, dass die Hilfsaktion für den Osten Europas auch heuer mit nahezu Null Prozent Werbekosten auskommt: Der Grund: ORF, Plakatwirtschaft und Printmedien, private Hörfunk- und Fernsehsender sowie Infoscreen stellen gratis Werbeplätze zur Verfügung. Die Erste Bank und die Wiener Städtische übernehmen Kosten für Papier, Druck und Filmmaterial. Die Caritas-Werbeagentur „CCP,Heye“ hat zum Selbstkostenpreis die Kampagne erstellt, die Filmproduktion PPM stiftet den Werbespot.