Mathias Mühlberger, Direktor der Caritas Oberösterreich
Bei dem Wort „Kinderarmut“ denken viele zunächst an die erschütternden Bilder von Kindern in Entwicklungsländern - Kinder die hungern, Kinder auf der Flucht, Kinder ohne Zuhause, Kinder, die ausgebeutet werden.
In Österreich sind wir in der glücklichen Lage, dass es bei uns solche Bilder nicht gibt. Doch es gibt andere Bilder. Bilder, die eigentlich in ähnlicher Weise berühren müssten. Denn Armut hat viele Gesichter - aber immer bedeutet Armut Leid und Verzweiflung. Und unsere Kinder sind diejenigen, die Armut hilflos ausgeliefert sind. Denn Kinderarmut ist gleichzusetzen mit Elternarmut.
Und wenn ihre Eltern arm sind, dann bedeutet das für Kinder,
dass sie nicht die gleichen Bildungschancen haben wie andere Kinder
dass sie nicht die gleichen materiellen Dinge bekommen können wie andere Kinder
dass sie nicht mit ihren Eltern auf Urlaub fahren können wie andere Kinder
dass sie oft nicht an Schulveranstaltungen teilnehmen können wie andere Kinder
dass sie nicht die adäquaten Förder- und Therapiemaßnahmen in Anspruch nehmen können wie andere Kinder und dadurch ihre Entwicklungschancen geringer sind
dass sie in schlechten Wohnverhältnissen leben müssen, was dazu führt, dass sie öfter krank sind wie andere Kinder, worauf kürzlich auch die „Armutskonferenz“ hingewiesen hat. Gesundheitliche Probleme werden natürlich auch dadurch gefördert, wenn Kinder miterleben müssen, wenn ihre Eltern aufgrund der finanziellen Notlage psychisch belastet sind.
Alle diese Benachteiligungen führen dazu, dass Kinder schnell zu Außenseitern werden. Dann wird der Kinderreim „Ene mene mu und raus bist du“ plötzlich vom Spiel zum bitteren Ernst.
227.000 Kinder und Jugendliche unter 20 Jahren, das sind 12,4 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Österreich, sind armutsgefährdet. Davon sind 87.000 oder 4,8 Prozent akut arm. Die durchschnittliche Armutsgefährdungsrate der Gesamtbevölkerung liegt bei 11 Prozent, akut arm sind 3,9 Prozent der Bevölkerung. Ohne Transferleistungen würde die Kinderarmutsgefährdung bei 26 Prozent liegen. (Quelle: BMSG, Bericht über die soziale Lage 2001-2002, Zahlen aus 1999.)
Zur Erklärung: In Österreich wird ein Pro-Kopf-Haushaltseinkommen von 60 % des Medianeinkommens als armutsgefährdend betrachtet. Diese Armutsschwelle liegt aktuell bei 780 Euro. Von „akuter Armut“ wird gesprochen, wenn zu diesem geringen Einkommen noch weitere Belastungen dazukommen: Schulden, schlechte Wohnverhältnisse, keine Möglichkeit, sich neue Kleidung zu kaufen etc. Einem erhöhten Armutsrisiko ausgesetzt sind vor allem AlleinerzieherInnen und Familien mit 3 oder mehr Kindern. Sie sind in den untersten Einkommensgruppen deutlich überrepräsentiert.
Das soziale Netz für Familien und AlleinerzieherInnen weist auch in Oberösterreich Lücken auf. Doch Armut und Armutsgefährdung von Familien und Kindern wird bei uns selten sichtbar. Uns begegnet beides in unserer Arbeit als Caritas in Oberösterreich unmittelbar und täglich:
in der „Beratung und Hilfe“ der Caritas für Menschen in Not. 40 Prozent unserer KlientInnen in den Sozialberatungsstellen sind Familien mit Kindern, fast die Hälfte davon sind AlleinerzieherInnen. Die größten Probleme, die hier immer wieder sichtbar werden, sind Arbeitslosigkeit und Verschuldung.
im „Haus für Mutter und Kind“ der Caritas für Menschen in Not. Viele der BewohnerInnen haben neben sozialen und persönlichen Problemen auch finanzielle Schwierigkeiten. Ein Großteil der jungen Mütter im Haus für Mutter und Kind hat noch keine Ausbildung oder ihre Berufsausbildung abgebrochen.
in der „Flüchtlings- und MigrantInnenhilfe“ der Caritas für Menschen in Not. Hier sind es natürlich vor allem die Kinder von mittellosen Flüchtlingen, die unter der Armut ihrer Eltern „mit“-leiden. Ein weiteres Problem, mit dem MigrantInnen konfrontiert sind: Derzeit verlieren MigrantInnen den Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie noch nicht fünf Jahre im Land leben und sich von ihrem Familienhilfe anspruchsberechtigten Partner trennen oder dieser stirbt. Auch Kinder mit österreichischer Staatsbürgerschaft sind von dieser Regelung betroffen. Außerdem kommt es immer wieder vor, dass Personen, auch wenn sie über Jahrzehnte in Österreich leben, wegen einer z. B. dreimonatigen Unterbrechung des Aufenthalts den Anspruch auf Familienbeihilfe verlieren, weil die 5-Jahres-Frist neu zu laufen beginnt.
in den Pfarrcaritas-Kindergärten der Caritas für Kinder und Jugendliche. Hier beobachten wir vor allem bei den Elternbeiträgen ein sinkendes Einkommens-Niveau. Wir führen hier keine Statistik, dennoch lässt sich aus den uns vorliegenden Zahlen erkennen: Derzeit liegt das Familien-Bruttoeinkommen (inklusive Transferleistungen) der Familien, die ihre Kinder bei uns untergebracht haben, bei rund 1500 Euro. Die Zahl der „Nullzahler“ (Eltern, die keine Elternbeiträge leisten können, weil das Familieneinkommen geringer ist als 944 Euro brutto im Monat) steigt in den letzten Jahren ständig an. Außerdem wird es immer schwieriger, Elternbeiträge vom Konto abzubuchen, weil die Konten immer häufiger nicht gedeckt sind. Weil sich viele Eltern teure Therapien und Fördermaßnahmen außerhalb der Kinderbetreuungseinrichtungen nicht leisten können, ist uns die Betreuung von Kindern mit Beeinträchtigungen oder Entwicklungsverzögerungen vor Ort in den Kinderbetreuungseinrichtungen ein großes Anliegen.
in der Familienhilfe der Caritas für Betreuung und Pflege. Vor allem unsere FamilienhelferInnen in der Langzeithilfe sind oft mit sehr tragischen Notsituationen konfrontiert und erleben unmittelbar in den Familien mit, wie sich die Probleme auf die Kinder auswirken. Die Langzeithilfe ist bei Familien im Einsatz, in denen ein Elternteil schwer erkrankt ist oder stirbt. Dadurch haben diese Familien zum Teil mit großen finanziellen Einbußen und sehr oft auch mit Schulden zu kämpfen. Die LangzeithelferInnen stellen in solchen Situationen auch Kontakte zu unseren Sozialberatungsstellen her.
Um allen Kindern in Österreich gleichwertige Chancen auf eine lebenswerte Zukunft zu geben, muss es das Ziel der Gesellschaft und Politik sein, die Rahmenbedingungen für Familien und das Leben der Kinder nachhaltig zu verbessern. Gerade für AlleinerzieherInnen würde unter anderem eine Erweiterung des Kinderbetreuungsgeldes eine dringend notwendige Verbesserung bedeuten. Erst eine Erhöhung des Kinderbetreuungsgeldes auf die Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes würde tatsächlich armutspräventiv wirken.
Darüber hinaus gilt es das Unterhaltsrecht zu verbessern. Sorgeberechtigte haben Anspruch auf Unterhaltsvorschuss, wenn der andere Elternteil keinen Kindesunterhalt zahlt. Allerdings wird der Unterhaltsvorschuss unter verschiedenen Voraussetzungen nicht gewährt – unter anderem dann, wenn der zahlungspflichtige Elternteil zwar zahlt, aber sehr unregelmäßig.
Ein weiteres Anliegen der Caritas ist der qualitative und quantitative Ausbau von Kinderbetreuungsangeboten.
Mit unserer Novemberkampagne „Ene mene mu und raus bist du“ möchten wir auf die Situation von Familien und Kindern in Not aufmerksam machen. Darüber hinaus bitten wir die Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher, denen es besser geht, mit ihrer Spende uns bei unserer Hilfe für notleidende Menschen in Oberösterreich zu unterstützen. Am kommenden Sonntag (16. November), wird anlässlich des Festes der Heiligen Elisabeth (19. November), auch in den Pfarren in Oberösterreich um Spenden gebeten.
Eva Forster, Leiterin Beratung und Hilfe
Kinderarmut in Oberösterreich - Ein Praxisbericht
An die Beratung und Hilfe der Caritas Oberösterreich wenden sich Menschen in existentiellen Krisensituationen. Von 6802 Vorsprachen im Jahr 2002 waren 2748 von Personen mit Kindern und davon 1235 Vorsprachen von AlleinerzieherInnen, bei 257 Vorsprachen war der Grund Schwangerschaft. Der Anteil an AlleinerzieherInnen ist erschreckend hoch, beinahe 20% aller Vorsprachen. Kinder von AlleinerzieherInnen sind besonders oft von Armut betroffen.
Die Eltern kommen, weil gegen Ende des Monats kein Geld mehr im Haus ist, der Kühlschrank ist leer. Frisches Obst und Gemüse kommen ohnehin selten auf den Tisch. Babyausstattung wird gebraucht, Babynahrung und Windeln sind aus, dringend benötigte Kleidung für die Kinder kann nicht gekauft werden, auch nicht aus zweiter Hand. Die Schuhe sind zu klein oder kaputt, die Kinder müssen sie trotzdem tragen.
Bei Krankheit fehlt das Geld für Medikamente, es sind Selbstbehalte bei Krankenhausaufenthalten und verschiedene Gesundheitsausgaben für Kinder trotz Rezeptgebührenbefreiung zu bezahlen. Arme Kinder sind öfter krank, sie sind schlechter ernährt, der ewige Kampf ums Geld bleibt auch ihnen nicht verborgen und verursacht Stress. Viele Kinder haben auch schon Zeiten ohne Strom und Heizung erlebt und fürchten müssen, dass sie aus der Wohnung geworfen werden oder haben diese Erfahrung bereits gemacht. Billige Wohnungen sind meist klein, feucht, schimmlig und kalt. Kinder schlafen im Elternbett oder am Boden, weil kein Platz für ein eigenes Bett ist.
Die Kindergarten- und Hortrechnungen sind nicht bezahlt, Kinder können deshalb vom weiteren Besuch ausgeschlossen werden. Schulsachen fehlen, LehrerInnen mahnen täglich das Kopiergeld, Bastelgeld etc. ein, die Kinder können es nicht bringen und geraten enorm unter Druck. Schulveranstaltungen wie Projekt-, Wien-, Sportwochen oder Exkursionen finden ohne sie statt. Bildung kostet Geld, auch wenn der Schulbesuch gratis ist. Kinder in höheren Schulen brauchen eine teure Schulausstattung, Nachhilfe ist nicht leistbar, der Schulbesuch kaum möglich. Und da beginnt der Kreislauf von vorne, schlecht ausgebildete Personen verdienen weniger, verlieren häufiger ihren Arbeitsplatz und sind öfter krank.
In unseren 7 Beratungsstellen in Oberösterreich und der Schwangerenberatung in Linz helfen wir Familien in Not in erster Linie durch Beratung: wir informieren über rechtliche und finanzielle Ansprüche, leisten Erziehungsberatung und Krisenintervention. Gemeinsam mit den KlientInnen erarbeiten wir eine Strategie für die nächsten notwendigen Schritte und geben Hilfestellung, damit die Betroffenen wieder Boden unter den Füßen gewinnen und selbst wieder Schritte aus der Notsituation setzen können. Punktuell leisten wir als Überbrückungshilfe auch finanzielle und materielle Unterstützung:
2002 haben wir in Oberösterreich Bargeld und Lebensmittel im Wert von ca.110000€ an Familien für den Lebensbedarf ausgegeben, ca. 50000€ wurden von uns für Mieten bezahlt, ca. 30000€ für Energie, ca. 15000€ für Kindergarten- und Hortrechnungen und sonstige Gebühren. Für Möbel und Hausrat haben wir ca. 22000€ gebraucht. Dazu kamen noch Berge von Spenden an gebrauchter Kleidung und Hausrat, die von uns gesammelt und weiter gegeben werden.
Familienförderung wird bei uns in Österreich zwar groß geschrieben, und das Kinderbetreuungsgeld brachte Verbesserungen für traditionelle Familien - der Vater verdient, die Mutter ist zu Hause. Für diese Familien ist das Kinderbetreuungsgeld tatsächlich ein zusätzliches Einkommen und wirkt der Armutsgefährdung entgegen. Wir begrüßen, dass mit dem Kinderbetreuungsgeld nun auch Personen, die vorher nicht in den Genuss von Karenzgeld kamen, ein Einkommen haben. Das sind StudentInnen, Hausfrauen, Bäuerinnen, und Frauen und Männer mit geringen Versicherungszeiten.
Gleichzeitig gab es aber Kürzungen der Transferleistungen für Familien: so wurden die Angehörigenzuschläge bei allen Leistungen des AMS empfindlich gekürzt, beim Kinderbetreuungsgeld wurde gleich überhaupt darauf verzichtet. Eine Person bekommt nun gleich viel Kinderbetreuungsgeld, egal ob sie 1 oder 5 Kinder hat. Ein Beispiel: eine Familie, 4 Kinder, der Mann hat ein geringes Einkommen auf Grund von Invalidität, bekam im Jahr 2000 für 3 Kinder 683,50 Euro an Karenzgeld inklusive Zuschuss und Angehörigenzuschläge. Im Jahr 2002 wechselte die Frau mit dem vierten Kind vom Karenzgeld zum Kinderbetreuungsgeld mit Zuschuss und bekommt seither 617 Euro. Die Familie hat mit einem Kind mehr und 2 Jahre später um 66 Euro weniger Einkommen.
Zusätzlich hat diese Familie im Jahr 2000 den Familienzuschuss des Landes O.Ö. in Höhe von 1000 ATS bekommen, der auch mit der Einführung des Kindergeldes abgeschafft wurde.
Gerade Mehrkindfamilien und AlleinerzieherInnen, die ohnehin oft an der Armutsgrenze leben, mußten tatsächliche Einkommenseinbußen hinnehmen.
Das Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 436€ bzw. 617€ (mit Zuschuss für AlleinerzieherInnen, oder falls der Partner ein geringes oder kein Einkommen hat) kann nur als Zusatzeinkommen gesehen werden. Es handelt sich hier keinesfalls um eine existenzsichernde Maßnahme. Es wird offenbar nicht davon ausgegangen, dass viele Familien und hier vor allem AlleinerzieherInnen tatsächlich von diesem Geld leben und alle Fixkosten begleichen müssen.
Immer wieder sehen wir außerdem, dass sich Frauen auf Grund von Karenz verschulden. Wenn sie dann wieder arbeiten gehen, wegen der Betreuungspflichten meist nur Teilzeit, können sie vielfach mit ihrem Verdienst die Existenz auch wieder nicht sichern. Es dauert mitunter Jahre, bis die Schulden aus der einkommensschwachen Zeit wieder getilgt sind.
Fallbeispiele aus der Beratung und Hilfe:
Fr. M. ist 20 Jahre alt und wohnt alleine in einer Wohnung. Diese Wohnung ist relativ klein und kostet sehr viel.
Da sie in wenigen Wochen ihr erstes Kind erwartet, ist sie gezwungen, eine andere Wohnung zu beziehen. Ihr wurde von einer Wohnungsgenossenschaft eine größere und vor allem billigere Wohnung zugesprochen. Allerdings müssen zuvor 500€ Kaution bezahlt werden.
Fr. M. bezieht Notstandshilfe in der Höhe von 590€. Sie hatte bisher keine Möglichkeit, sich Ersparnisse anzulegen. Mit dem Einkommen kann sie ihre monatlichen Fixkosten decken und es bleiben noch 200€ zum Leben.
Sonderausgaben für die neue Wohnung, Anschaffungen für das Baby, wie Babykleidung, Gitterbett, Kinderwagen, etc. kann sie derzeit nicht bezahlen.
Frau L. ist Alleinerzieherin mit einem 10-jährigen Kind. Sie ist seit über 3 Jahren arbeitslos, mit einer 50-prozentigen Behinderung und ihrem Alter über 40 bekommt sie einfach keine Arbeit. Von Jahr zu Jahr wird die Verzweiflung größer, die Notstandshilfe reicht gerade zum Überleben, jede zusätzliche Rechnung wird zum Problem. Sie ist oft krank, was bei dieser psychischen Belastung nicht verwundert.
Sie möchte ihrem Kind ein normales Leben mit einer guten Ausbildung bieten. Dazu braucht sie Unterstützung, das Konto ist bereits mit über 2000 Euro überzogen und ein Dauerproblem sind die Hortrechnungen. Frau L. besucht immer wieder AMS-Kurse und hofft auf Arbeit, deswegen und auch weil das Kind im Hort gefördert wird, ist es ihr ein großes Anliegen, den Hortplatz zu erhalten.
Mit Ihrer Hilfe können wir helfen
Solidarität mit Menschen in Not demonstrieren auch viele Unternehmen. Die Caritas dankt dem ORF sowie zahlreichen Zeitungen, Zeitschriften, Plakatunternehmen und der Agentur CCP Heye und Fish Film, die die Kampagne „Ene mene mu und raus bist du“ gratis ermöglichen. Erste Bank und Sparkassen übernahmen die Kosten für die Produktion der Werbemittel. Herzlichen Dank allen für die gelebte Mitmenschlichkeit.
Ohne Ihre Hilfe sind wir hilflos.
Spendenkonto:
Raiffeisenlandesbank OÖ.,
Kto.Nr.: 1.245.000, BLZ 34.000
Verwendungszweck: Elisabethsammlung